Andreas Ellinger

RESEARCH, ANALYSES AND REPORTING

Der „Hosen-Kreidler“ wird heute 70

Veröffentlicht in: Porträts, Wirtschaft

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Ein Kaufmanns-Leben, das von der Geschichte der Jeans und des Horber Handels geprägt ist – und vom Durchhaltevermögen

 

Der Kaufmann, der einst die Jeans nach Horb gebracht hat, ist mindestens so robust wie der Stoff seiner Hosen: Detlef Kreidler. Trotz aller Widrigkeiten hat er sich am Einzelhandels-Standort gehalten. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag – und er denkt nicht ans Aufhören.

Horb. Es ist kein Rechenfehler des Horber Einwohnermeldeamts, das die Geburtstage der Bürger ab 70 Jahren mitteilt: Der „Hosen-Kreidler“, der in seiner Freizeit seit 50 Jahren kegelt und – wenn das Knie mitmacht – Tischtennis spielt, wird tatsächlich nicht erst 60…

Passend zum amerikanischen Way of Life, den er in modischer Hinsicht nach Horb gebracht hat, kommt Detlef Kreidler ein bisschen wie ein gesetzter Cowboy daher – in Jeans selbstverständlich. „Ich hab schon seit über 50 Jahren keinen Anzug mehr getragen“, sagt er. Wer sein Geschäft in der Neckarstraße betritt, kommt in einen Western-Store mit Saloon-Ambiente. Die Marken-Embleme oberhalb der (Verkaufs-)Theke erzählen die Geschichte der Jeans: Die Bronco für 29 Mark, wie er sie Ende der 50er-Jahre verkauft hat, ist den Hosen der Marken Mustang, Pioneer und Paddock‘s gewichen, deren Preise plus-minus doppelt so hoch sind und zwar in Euro beziffert. Eine Mustang sei in Horb aber nicht teurer als in Stuttgart, betont Kreidler, der manche Neukunden Staunen sieht, wenn sie das realisieren. Er erinnert sich an eine Mutter, die mit ihrem Sohn nach vergeblicher Jeans-Suche in mehreren Großstädten bei ihm eintrat – und dann ob der Auswahl überrascht war. „Zehn bis 15 Jeans kann ich in jeder Größe auf den Tisch legen“, sagt der Kaufmann. Und da er sein Geschäft von der Pike auf gelernt hat, mustert er seine Kunden erstmal auf ihren Kleidungsstil hin und dann misst er ihre Bundweite: „Männer probieren nicht gerne an…“ Folglich sollte im Idealfall unter den ersten zwei, drei angebotenen Jeans eine dabei sein, die ihnen zusagt und passt. Ein Stuttgarter Kunde probiert erst gar nicht mehr… Der über zwei Meter große Mann kauft in Horb seine Jeans in Übergröße. Wenn er beruflich in Richtung Bodensee fahren muss, bestellt er ein paar Tage vorher beim Hosen-Kreidler sein angestammtes Modell. Kein Einzelfall: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, der Mann sowieso.“

Die Geschichte der Jeans ist vom gesellschaftlichen Wandel geprägt. Die Hippies verpassten der klassischen Arbeitshose beispielsweise einen Schlag – Woodstock lässt grüßen. Ob der damals knapp 30-jährige Detlef Kreidler auch den Lifestyle lebte, der mit den Hosen verbunden war, die er verkaufte? „Für Rock-Festivals hätte ich gar keine Zeit gehabt“, erklärt er.

Nicht nur die Form, auch der Stoff der Jeans hat sich verändert. Längst hätten Männer das Stretchmaterial der Frauen-Hosen schätzen gelernt, die manche früher als Gummihosen verspottet hätten, sagt Kreidler Die klassische Jeans sei wohlgemerkt nicht nur grau, sondern auch „bretthart“ gewesen. Damit sie wie angegossen saßen, musste man(n) mit ihnen 15 Minuten in die Badewanne sitzen.

Detlef Kreidler hat seine Kaufmanns-Lehre im väterlichen Laden gemacht und danach ein Jahr „beim Maier“ in Ebingen gearbeitet. In Horb zurück, überließ er den Anzug-Markt bald den Geschäftsleuten Haipt und Zeller – mit seinem Vater zusammen konzentrierte er sich lieber auf Jeans und andere eher sportliche Kleider.

Anfang der 70er-Jahre übernahm Detlef Kreidler das Geschäft offiziell. Und würde ihm das Haus nicht gehören, hätte er schon längst aufgeben müssen, wie er berichtet. Die Umsätze seien fortlaufend zurückgegangen. Heute gebe es Tage, an denen morgens und nachmittags jeweils ein Kunde komme – mehr nicht. Laufkundschaft? Fehlanzeige. Als der „Plus“ an der Fußgängerzone geschlossen habe, sei die Frequenz weiter zurückgegangen. Das Lebensmittel-Angebot fehle in der Innenstadt „gewaltig“, sagt der Einzelhändler. „Ich lebe von meinen Stammkunden“, die bei ihrem Einkauf alle ein bis zwei Jahre auch mal 400 Euro ausgäben.

Dem Kaufmann ist in dieser Lage nicht klar, was ein City-Manager erreichen soll: „Den Verkehr kriegt er nicht raus und Kunden nicht rein.“ Zu den Investoren-Plänen für ein Shopping-Center im Bahnhofs-Bereich sagt er: „Ich finde es nicht gut, dass so ein Riesenkasten dorthin gebaut wird.“ Die Kunden würden dann auf das integrierte Parkdeck fahren und anschließend wieder verschwinden. „Kein Mensch geht danach in die Innenstadt. Da kann man einen roten Teppich auslegen und die Leute kommen trotzdem nicht.“ Auch die „strengen Parkkontrollen“ findet er „nicht so gut“. In Städten wie Balingen könnten Kunden bis zu zwei Stunden kostenlos parken.

Trotz der Negativ-Entwicklung in Horb will Detlef Kreidler „noch ein paar Jahre weitermachen“, wie er ankündigt: „Bis jetzt hab ich noch keine Lust zum Aufhören.“ Und seinen früheren Plan, den Laden zu vermieten, um seine Rente aufzubessern, könne er mangels Interessenten sowieso vergessen. Stattdessen hat er eine Art Fluchtplan entwickelt, falls Griechenland die anderen EU-Staaten vollends mitreiße. Dann werde er auf die Philippinen auswandern, woher seine Frau stamme. Das Ehepaar hat dort ein Haus. 300 bis 400 Euro pro Monat würden dort zum Leben reichen, sagt Detlef Kreidler und erklärt: „Zumindest braucht man dort schonmal kein Heizöl.“

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Samstag

3

März 2012

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb