Andreas Ellinger

RESEARCH, ANALYSES AND REPORTING

Strafe für die Schweigsamen

Veröffentlicht in: Features, Justiz

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Die Geschichte einer Schlägerei, die Vier verschmerzen mussten, aber (fast) keiner gesehen hat

 

Ein Schläger-Kommando aus dem Raum Freudenstadt ist vom Horber Amtsgericht zu mehrmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt worden. Das Quintett soll nach Schopfloch gefahren sein, um andere zu verprügeln. Vier junge Männer trugen Verletzungen davon.

Horb/Schopfloch. Die Wahrheit versuchen manche vor Gericht wie einen Kaugummi zu dehnen. Vor dem Horber Amtsgericht ging es am Dienstag sogar um einen Kaugummi. Die Freundin eines der fünf Angeklagten will ihn während einer Schlägerei am 25. Mai 2001 in Schopfloch aus einem Automaten geholt haben. Hat sie wirklich? Ihr Begleiter, der auf sie aufpassen sollte, sagte als Zeuge vor dem Jugendschöffengericht, der Kaugummi-Automat sei kaputt gewesen. „Einer muss mich angelogen haben“, folgerte der Richter, ohne dass es ihm ernsthaft um den Kaugummi gegangen wäre. Er wollte wissen, was geschehen ist und wer was gesehen haben muss.

Vom Kaugummi-Automaten aus wollte weder die Freundin noch ihr Aufpasser etwas von einer Schlägerei gesehen haben. Warum er überhaupt aufpassen sollte? Nach einem „Hilferuf“ per Handy wussten die jungen Leute angeblich nicht, ob sie einen Freund aus der 30- bis 50-köpfigen Menge auf dem Schopflocher Marktplatz herausschlagen müssen. Und in dem Fall hätte die 18-Jährige aus Angst um ihren Freund überreagieren und in die Auseinandersetzung eingreifen können, sagte ihr vom Geliebten ernannter Wächter.

„Ist die so rabiat?“, fragte der Richter. Der Zeuge bejahte: Sie sei rabiater als er. „Ja hätten Sie die Freundin dann überhaupt zurückhalten können?“, wollte der Richter wissen. Der 18-Jährige äußerte seine Zweifel. Er sah sich an jenem Abend nicht auf die –(Kraft-)– Probe gestellt, „weil ihr der Kaugummi wichtiger war als ihr Freund“, wie der Richter bemerkte, als er die Aussagen der 18-jährigen Freundin zusammenfasste. Sonst hätte sie die bedrohliche Lage auf dem Marktplatz beobachtet. Der Richter zweifelte an der Automaten-Geschichte.

Das Gericht musste sich am Dienstag mehrere sinnlose Geschichten anhören. Wie die vom großen Unbekannten aus Glatten, der aus unbekannten Gründen einen damals 16-jährigen Schopflocher schlagen wollte. Auf wiederholtes Nachfragen des Richters und Appellen an die Wahrheits-Pflicht des Zeugen bekam der Unbekannte einen Namen und seine angebliche Gewalt-Absicht einen Grund. Es ging offenbar um ein Mädchen.

Besagter Glattener tauchte an jenem Abend nicht auf. Stattdessen kamen Freudenstädter, die ein Glattener rief, nachdem ihn Bekannte des angeblich gefährdeten Schopflochers gefragt hatten: „Wo bleiben denn deine Glattener?“ Fast 20 Leute hätten ihn schlagen wollen, berichtete der Glattener als Zeuge. Nach zehn bis 15 Minuten kamen seine schlagkräftigen Freunde. Die Schopflocher warteten so lang mit dem Hauen, um hernach ihrerseits „die Schnauze voll zu kriegen“, wie der Richter aus der Aussage schloss. „Das macht keinen Sinn.“

Sinn für das Gericht machte, dass alle fünf (zur Sache schweigenden) Angeklagten geschlägert haben. In ihren polizeilichen Vernehmungen hatten sie sich gegenseitig belastet. Und ihre Mitfahrer sagten als Zeugen, es seien nur zwei Autos vorge-fahren. In denen blieb – das Duo am Kaugummi-Automaten abgezogen – kein Platz mehr für Leute, die nicht geschlagen haben. Denn andere Zeugen schilderten übereinstimmend, dass vier bis fünf Leute aus den Autos einen Schopflocher getreten und geschlagen haben, dass drei bis vier Schläger auf einen zweiten losgegangen seien und dass noch zwei andere Prügel bezogen hätten.

„Es sind alle Angeklagten für alle Verletzten verantwortlich“, sagte der Richter. Das Gericht verurteilte vier Angeklagte wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu sieben Monaten Freiheitsstrafe, die es zur Bewährung aussetzte. Der Fünfte bekam acht Monate zur Bewährung, weil bei ihm ein früheres Urteil mit in die Strafe einging. Zusätzlich sollen die Angeklagten 250 bis 1000 Euro an gemeinnützige Einrichtungen in Horb zahlen. Der Richter hielt es für möglich, dass die „andere Seite zumindest anfangs die Schlägerei wollte“. Das ändere aber an der Strafbarkeit der Schläger nichts. Sie hatten zum Teil auf am Boden liegende Leute eingetreten. Ihre Opfer erlitten vor allem Prellungen.

Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Horber Chronik

Freitag

10

Mai 2002

Publikation:
Südwest Presse

 

Ressort:
Horb