1939: Ein Abschied für immer
Veröffentlicht in: Berichte, Geschichte
Hedy Epsteins Eltern starben in Auschwitz / Vortrag in Fischingen
Die Jüdin Hedy Epstein kam 1939 als 14jähriges Mädchen mit einem Kindertransport nach England – ihre Eltern starben in Auschwitz. Am Samstag, 15. Mai, spricht die Zeitzeugin des Dritten Reiches um 20 Uhr im Katholischen Gemeindehaus Fischingen.
Fischingen. „Erinnern ist nicht genug“, titelt die Autobiographie von Hedy Epstein, die im Mai dieses Jahres erscheint. Die 74jährige erzählt darin ihren Lebensweg, der bis heute unmittelbar vom Schicksal ihrer Familie im Dritten Reich geprägt ist. Sie selbst hat den alltäglichen und staatlich organisierten Antisemitismus in Deutschland erlebt, dem ihre Eltern und viele andere Familienangehörige später zum Opfer gefallen sind.
Geboren ist Hedy Epstein am 15. August 1924 in Freiburg als Tochter der jüdischen Familie Bella und Hugo Wachenheimer, die in Kippenheim lebte. Als letzte jüdische Schülerin auf dem städtischen Gymnasium in Ettenheim erlebte sie die Reichspogromnacht. An jenem Tag verhafteten die Nationalsozialisten ihren Vater und deportierten ihn nach Dachau – kahlgeschoren und gebrochen kam er Tage später zurück. Alle Versuche der Eltern, aus Deutschland herauszukommen, scheiterten. Wenigstens ihre Tochter Hedy konnten sie am 18. Mai 1939 mit einem Kindertransport nach England schicken. Sie selbst blieben zurück und kamen am 22. Oktober 1940 ins Lager Gurs. Bis dahin konnte Hedy mit ihren Eltern noch Briefkontakt halten. Zuerst erreichten sie die Briefe über das Rote Kreuz, dann kamen sie aus verschiedenen Konzentrationslagern in Frankreich und irgendwann blieben sie ganz aus. Das letzte Lebenszeichen ihrer Mutter erreichte das Mädchen in Form einer verknitterten Postkarte, datiert vom 4. September 1942. Auf ihr standen die Worte: „Meine Liebe Hedy, auf der Reise in den Osten sendet Dir aus Montauban viele liebe Abschiedsgrüße, Deine Dich liebende Mutti.“ Es sollte ein Abschied für immer werden. Denn die Reise der Eltern führte direkt in das Vernichtungslager Auschwitz.
Hedy Epstein lebte unterdessen in England bei zwei jüdischen Familien und danach in einem Kinderheim. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr durfte sie dort die Schule besuchen, dann mußte sie arbeiten gehen – als Schneiderin im Kaufhaus Harrods. Diesen relativ komfortablen Job gab sie allerdings auf, um ab 1943 mit der Arbeit in einer Fabrik die englischen Kriegsanstrengungen gegen Hitler zu unterstützen.
Nach dem Krieg wollte sie mit anderen zusammen nach Deutschland zurückkehren und das tat sie auch. Anfangs arbeitete sie für die Zensurabteilung der Vereinigten Staaten und später als Dokumente-Forscherin für den Ärzteprozeß in Nürnberg. Im ehemaligen Dokumentenzentrum der Nazis in Berlin-Dahlem stieß sie dabei im Januar 1947 auf den Namen ihres Vaters.
Er stand auf einer Liste mit Menschen, die nach Auschwitz deportiert werden sollten. Von einer französischen Organisation erhielt sie 1956 die offizielle Bestätigung, daß ihre Eltern im September 1942 tatsächlich nach Auschwitz deportiert worden waren.
Nachdem sie zwischenzeitlich nach Kippenheim bei Freiburg zurückgekehrt war, emigrierte Hedy Epstein schließlich in die USA. Aus emotionalen Gründen konnte sie damals einfach noch nicht in Deutschland leben. Statt dessen kämpfte sie in den Vereinigten Staaten gegen jede Form von Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung. Diese Einstellung wurde für sie zum Lebensprinzip. Sie engagierte sich in verschiedenen Organisationen und bereiste in deren Auftrag unter anderem Guatemala, Nicaragua und Kambodscha.
Die wohl schwierigste Reise ihres Lebens führte sie jedoch im Jahr 1980 in die Vergangenheit. Sie besuchte all jene Stationen, die ihre Eltern auf dem Weg nach Auschwitz durchlebt hatten. Während sie über die Jahre immer noch auf ein Lebenszeichen von ihren Eltern gehofft hatte, fand sie an der Rampe von Auschwitz die Gewißheit, daß ihre Eltern den Holocaust nicht überlebt haben. In ihrem Buch schreibt sie dazu: „Bis zum September 1980, als ich an der Rampe von Auschwitz stand, wo die Entscheidungen gefällt wurden, wer leben und wer sterben würde, konnte ich es weder verstehen noch akzeptieren, daß meine Eltern wirklich tot waren. Ich wußte immer noch nicht, wann sie starben, ich wußte immer noch nicht, wie sie starben, aber an diesem Tag wußte ich, sie hatten nicht überlebt.“
Andreas Ellinger, Südwest Presse Horb, Sulzer Chronik
Siehe auch:
Bericht: Den Haß in positive Energie verwandeln (18.05.1999)
Kommentar: Zeitzeugen der Nazi-Herrschaft sterben aus (18.05.1999)